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'Lieber Bruder Karl!
Ich habe dir neulich 2 Briefe geschrieben, ohne dass einer derselben beantwortet worden wäre. Mittlerweile ersehe ich durch Briefe, welche Alois an mich u. an Siegmund gerichtet hat, dass du u. deine Frau hohe Wechsel unterschrieben habt, was du Alois erst im letzten Augenblick mittheiltest, wo es ihm freilich sehr schwer werden musz, das nöthige Geld zu beschaffen.
Desgleichen hört man gar nichts über deinen Triester Ingwer u. wenn ich dir es offen gestehen soll, weisz ich überhaupt nicht, wie hoch deine Verluste u. deine Verbindlichkeiten sind, da du mir in deinen Briefen merkwürdigerweise viel zu kleine Ziffern angegeben hast.
Du machst es gerade so wie vor Jahren Siegmund, welcher die alberne Einbildung hatte, seine Lage sei besser, wenn er mir nicht die Wahrheit mittheilt.
Hätte er mir 1884, als ich das erste Mal nach Hause kam, gesagt, er habe auch keine Prüfung gemacht, so wäre er heute schon lange Doctor. Dir musz ich dasselbe sagen: Wenn ich deine Verluste und Verbindlichkeiten GENAU kennen würde oder richtiger schon vor 2 oder 3 Monaten gekannt hätte, dann wäre ich sofort in der Lage gewesen, Geld zu beschaffen u. Alois wäre nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.
...
Siegmund hatte seine Vertrauten stets unter fremden Leuten, du scheinst ähnlich vorzugehen. Erst wenn Alles auf dem Spiele steht, dann erinnert man sich daran, dass auch noch Brüder existiren.
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Ich habe Alois geschrieben, er ... soll keine Verluste befürchten, da ich mit Geld zur Hand sein werde. Nun scheint er für dich 3000 fl bezahlt zu haben, die du ihm freilich nicht gleich zurückerstatten wirst können.
...
Ich verlange deshalb unverzüglich reinen Wein über deine Lage, damit ich mich vorsehe. ... Meine Sammlungen sind unter Brüdern 10-15000 fl wert. Ich kann also einige Tausend Gulden schon entbehren.
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Grüsze mir Vater u. Mutter, deine Frau u. Kinder.
Dein treuer Bruder
Eduard'
Short description:
Eduard Glaser (1855-1908) reprimands his eldest brother Karl (1851-1898) for keeping him in the dark about his precarious financial situation for so long, comparing his attitude with that of their youngest brother Sigmund (1857-1913), who had not come clean with him about the progress of his medical studies in 1884.
He urges Karl to tell him the full truth about the amount of losses he has suffered so that he can prepare to make up for them....
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