Contents:
'Excellenz!
Hochzuverehrender Herr Geheimer Rat und Sectionschef!
Inliegenden, von Wien, Palace Hôtel, 7. April 1907 datirten Brief hatte ich im Laufe des gestrigen Nachmittags fertiggestellt, um ihn heute abends in Wien der Post zu übergeben. Ich schob jedoch meine Reise nach Wien auf, als ich am gestrigen Abend die Nachricht las, dass Sr. Excellenz der Herr kais. und kgl. Botschafter Markgraf Pallavicini in nächster Zeit zu kurzem Urlaub nach Wien komme, ein Ereignis überdas ich grosze Genugtuung empfinde, weil ich Hoffnung hege, dass Eure Excellenz im Verein mit Sr. Excellenz dem Herrn Botschafter in der Lage sein werden, die Vorkommnisse der letzten Wochen, so weit sie mich betreffen, kritisch zu prüfen; denn ich vermute, dass Sr. Excellenz sowol von türkischer wie von schwedischer Seite irgendwelche mich betreffende Mitteilungen gemacht wurden und dass nun beide Excellenzen ... auch den österreichischen Staatsangehörigen werden hören wollen.
Als ich in Konstantinopel war, fand ich vom 29/I bis zum 8/II in den türkischen Kreisen das denkbar freundlichste Entgegenkommen. Von da ab bemerkte ich ja doch eine wennauch sehr geringe Abkühlung. Indess hielt die günstige Stimmung trotzdem noch bis etwa zum 8. oder 9. März vor, also noch 3 Wochen nach meiner Abreise von Konstantinopel.
...
Es ist nämlich zu vermuten, dass einer der Gründe, die zur Entsendung dieser Mission geführt haben, entweder in meinem Aufenthalt in der türkischen Hauptstadt lag, oder in dem Wunsche, die italienischen Bestrebungen ... vor dem Scheitern zu bewahren. Trifft diese Vermutung zu, dann ... ist einer der Promotoren der Mission sicher der auch in Wien noch von der südarabischen Expedition der kaiserl. Akademie der Wissenschaften her bekannte schwedische Orientalist Graf Landberg. Dabei ist es irrelevant, ob er selber in Konstantinopel war oder nicht, oder ob die türkische Regierung ...ihn mit der ... Aufgabe betraut hat, bei der Ordnung der Verhältnisse im Jemen mitzuwirken.
... aber ebenso wahr ist, dass der 1884 oder 1885 von König Humbert I. zum Conte ernannte schwedische Reisende Carlo Landberg kein Gegner Italiens ist. Soweit ich seine Vergangenheit kenne stand er mit seinen Sympathien stets bei Italien, Frankreich und England, ... seine diplomatische Tätigkeit entfaltete er in Cairo, un seine arabischen Forschungen machte er in Syrien (1872-1884) und 5 Winter hindurch (1894/5 - 1898/9) je einige Wochen in Aden ... Mit den Türken scheint er sich vor langen Jahren überworfen zu haben ...
Östereich und England sind seit seinem Zerwürfnis mit der kaiserl. Akademie der Wissenschaften nicht mehr des Grafen Lieblinge. Über sein Verhältnis zu den österreichischen Gelehrten nach der Expedition können Eure Excellenz am schnellsten und sichersten Auskunft verlangen bei den Herren Hofräten: Prof. D.H. Müller, Hofbibliotheksdirektion von Karabacek, Reinisch etc.
...
Man wird es also der türkischen Regierung zu verstehen gegeben haben, dass Graf Landberg den Jemen besser als irgend ein anderer Sterblicher kenne. Er war zwar auszer im englischen Aden in keinem einzigen Orte des gesamten Jemen (von Orten an der englischen Küste östlich von Aden abgesehen), aber zungenfertiges Selbstbewusztsein wirkt ja oft Wunder und ist bei Verhandlungen gleichviel ob mit Arabern, Türken oder Europäern oft brauchbarer als eine noch so grosze Kenntnis von Land und Leuten.
...
...
Auch bei Herrn Minister Baron Call vermute ich seit dem Jahr 1900 keine Sympathien für mich. Ich appelire aber an das Herz Sr. Excellenz, das sich von dem freilich schon lange vergangenen Jahren unserer zeitweise gemeinsamen Anwesenheit in Konstantinopel stets so groszmütig gezeigt hat. Das Wolwollen, das der Legationsrat dem damals noch jugendfrischen und tatendürstigen Reisenden entgegengebracht hat, wird der Minister dem durch Misgeschick und Enttäuschungen verbitterten alternden Forscher wnigstens nicht ganz entziehen wollen. Sr. Excellenz wird dadurch bewirken, dass ich schnell wieder der ruhige, leidenschaftslose, anspruchslose, friedfertige und tatenkräftige Mann sein werde, der ich ehedem war, und derselbe glühende Patriot wie damals ... Jetzt kann ich meine Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse frei und voll und ganz meinem österreichischen Vaterlande widmen, auch wenn es naturgemäsz nicht mehr allzu viele Jahre sein werden.
...
Zudem bitte ich Eure Excellenz, sich die Muße des Durchlesens nicht verdrieszen zu lassen, denn die beiden Schriftstücke zeigen wenigstens, was ich getan, was ich denke und was ich hoffe, und werden beim hohen Ministerium des Äuszern vielleicht die Geneigtheit erwirken, die Jemen-Frage ins Auge zu fassen, deren Wichtigkeit in verschiedenen Beziehungen klar zu Tage liegt.
Genehmigen Sie, hochgeehrter Herr Geheimer Rat, neuerdings den Ausdruck meiner ehrerbietigsten Ergebenheit
Dr. Eduard Glaser'
Short description:
Eduard Glaser (1855-1908) elaborates on an appraisal of relations between Italy and Turkey which he had addressed to a high official of the Imperial and Royal Foreign Ministry on the same day.
He describes his mission to Constantinopel in January/February 1907 and points out that the atmosphere cooled slightly from February 8th, 1907.
Glaser conjectures that the reason for this development could result from in the involvement of the Swedish traveller and orientalist Count Carlo Landberg (1848-1924), whose professional career he then outlines, not without quoting the names of possible further informants such as David Heinrich Müller (1846-1912), Joseph Karabacek (1845-1918) or Leo Reinisch (1832-1919) ...
|
|